Vor etwa 30.000 Jahren legten wir die Felle ab und begannen Kleidung aus anderen Materialien anzuziehen. Das wäre deutschen Männern nie passiert. Im SZ Magazin beschreibt eine Journalistin ihr Leid über den deutschen Mann (vor allem) und sein Missverhältnis zur Mode. Ich kann beide verstehen.
Ich geb’s ja zu, in dem folgenden Text (auf den ich verweise) habe ich mich durchaus wiedererkannt. Deutschen Männer und die Wahl ihrer Klamotten (der Begriff Klamotten ist in dem Fall durchaus angemessen). Deutsche Männer und ihr Verhältnis zur Mode. Ich werde jetzt sicherlich keine Bresche für ein neues Bewusstsein deutscher Männer in punkto „Anziehsachen” schlagen. Genau das aber hat kürzlich Christine Zerwes (bezeichnenderweise eine Frau) in ihrem Artikel „Seien Sie anspruchsvoll” im SZ-Magazin versucht. Wobei es eigentlich mehr eine Zustandsbeschreibung ist, denn ein Werben für die Sache.
Wie bei allen Verallgemeinerungen könnte man natürlich ständig entgegnen: „Ja, aber so sind doch nicht alle (Männer).” Aber wenn Zerwes schreibt …
„Ein Satz bringt Stilbewusstsein in Deutschland auf den Punkt: Die Schuhe sind zwar nicht schön, aber so praktisch. Nie, nie, nie würde ein Italiener so einen Satz sagen. Es ist ihm vollkommen egal, ob ein Schuh mit Klettverschlüssen schneller verschließbar ist (…)”
… dann hat man sofort ein Bild vor Augen, dass sie im Folgenden treffend wiedergibt:
„(…) so (…) sehen die Menschen in deutschen Fußgängerzonen aus: sportlich, funktional, bodenständig. In Bequemschuhen, Windjacken und Jeans bewegt sich hier eine uniforme Masse, die vor allem eines nicht will: auffallen – oder den Eindruck erwecken, sie würde ihre äußere Erscheinung wichtig nehmen. Diese Mischung aus Unbeholfenheit und betonter Wurschtigkeit hat seltsame deutsche Modephänomene hervorgebracht (…)”
Gerade dieser Punkt „Unbeholfenheit und betonte Wurschtigkeit” trifft es bei Männern in vielen Fällen, scheint mir (das ‘nicht auffallen’ sowieso). Die Unbeholfenheit rührt schlicht daher, dass es offenbar keine Tradition (mehr?) gibt, dass Väter ihren Söhnen erklären, worauf es beim Kauf „guter Kleidung” ankommen könnte. Andererseits: Da wo es Väter vielleicht versucht haben, führte es zum genauen Gegenteil: „Ich will doch nicht aussehen wie mein Vater, (der Spießer).”
(Kurze Zwischenfrage an die männlichen Leser hier: Und wie war’s bei Euch. Hat Euch Euer Vater ein paar Tipps dazu gegeben?)
Wer nicht weiß, was zusammen passt oder was einen guten Schuh ausmacht, der übertüncht sein Nicht-Wissen schon mal mit „betonter Wurschtigkeit”: „Ist mir doch egal. Klamotten müssen passen und bequem sein.” (Upps, hab’ ich mich erwischt). Oder man hebt es auch noch auf eine höhere Ebene: „Sind doch alles nur Äußerlichkeiten (die inneren Werte sind doch das, was zählt).”
Auch ein Grund, der gerne gennant wird: Kommerzverweigerung (was natürlich ein Witz ist, denn das Geld wird dann einfach für andere Sachen ausgegeben.)
Die Ursache für unser gespanntes Verhältnis zur Kleidung findet Zerwes in der Historie (dabei beruft sie sich auf die Einschätzung der Literaturwissenschaftlerin und Modeexpertin Barbara Vinken von der LMU München):
„Eine Nichtmode als Auflehnung gegen äußere Konventionen und Verschwendung; das hat in Deutschland eine sehr lange Tradition und gilt immer noch unterschwellig als Tugend. (…) In Deutschland hat das Bildungsbürgertum gegen die(se) Hofkultur rebelliert und sich bewusst anders gekleidet. (…) In Frankreich, England und Italien dagegen habe das Bildungsbürgertum die Hofkultur nicht kleingekriegt, es habe sich weiterhin modisch nach dem Hof gerichtet, das Bürgertum in Deutschland dagegen emanzipierte sich und triumphierte.(…)”
Ergebnis:
„Hier fehlt die Lust an [der] Attitüde, man hat Angst vor dem schönen Schein.”
Barbara Vinken hat auch eine Erklärung dafür, in der ich mich auch ein wenig wiederfinde:
„Mode ist nicht für die Dauer gemacht, sondern für den schönen Augenblick – das widerspricht dem deutschen Geist, der lieber längerfristig denkt.”
Da ist es wieder dieses sehr deutsche Ding: Innere Werte statt Äußerlichkeit, langfristig, nachhaltig, von Dauer statt schnelllebig. Wir sind Idealisten und Romantiker, im Guten wie im Schlechten.
Und die folgende Situation kann sich wahrscheinlich jeder gut vorstellen, wenn er sie nicht selbst erlebt hat:
„Wer in einer deutschen Firma arbeitet, in der es keinen Dresscode gibt, und der mal in Sakko, Hemd und Krawatte zur Arbeit geht, den fragen die Kollegen: »Was hast du denn heute noch vor?« Sich einfach nur aus Freude elegant zu kleiden, herausstechen zu wollen, macht einen schnell verdächtig”
Dabei war das mal anders, scheint mir, also das mit dem Anzug. Wenn man sich Fotografien aus den 50er Jahren ansieht, oder sogar noch vor dem Krieg. Da trug eigentlich jeder einen Anzug, oder? Oder war das dann auch nur, weil man einen Anzug trug, Dresscode eben, bloß nicht auffallen.
Wie auch immer. Zerwes Forderung ist dann nur logisch, und in Ihrer Aufforderung findet sich sogar noch ein Grund, warum wir (oder besser: viele von uns) solche Spaßbremsen sind, wenn es um das Thema Kleidung und Mode geht: Luther und der ganze Rattenschwanz:
„Schluss mit protestantischer Lustfreiheit und eintöniger Alltagstauglichkeit in unseren Fußgängerzonen! Auch wir wollen mal von Eleganz und Exzentrik überrascht werden, das macht einfach gute Laune.”
Zerwes fordert ganz am Anfang:
„Wann werden deutsche Männer endlich verstehen, dass Kleidung nicht nur praktisch sein soll, sondern Ausdruck kultureller Identität?”
Wir haben das schon verstanden, wir sind eben so, das ist unsere Kultur. Wir sind alle Calvinisten, modisch betrachtet.
(Aber was soll man auch erwarten in einem Land, in dem ein Bekleidungsunternehmen (genauer ein Trikotagenhersteller) seit Jahren ungestraft mit einem Affen wirbt.)
Zusatz: Als ich mir gerade das Video zum neuen WordPress 3.0 ansah, fiel mir noch etwas Entscheidendes ein. Die WordPress-Macher geben der WP 3.0 Version den Namen Thelonius, in Erinnerung an den Jazz-Pianisten Thelonius Monk.
Im Video ist ein Plattencover zu sehen, typisches Jazz-Cover, und mir fällt der entscheidende Begriff ein, den Christine Zerwes gar nicht erwähnt. Es geht nicht um Mode, es geht um Stil, um style. Wenn Sie von den Italienern, den Franzosen und all den anderen spricht, dann bewundert sie diese für ihren style.
Genau das ist es, was vielen deutschen Männern fehlt (schließe ich mich da jetzt ein?). Sie haben keinen style, sie tragen einen nicht-Stil. Mir scheint, das beschreibt es am besten. Man muss ja nicht jede Mode mitmachen und kann trotzdem gut und angemessen gekleidet sein, mit Stil eben.
Style, das ist es, was uns fehlt (ob man das jetzt beklagen muss oder nicht, mal dahingestellt, als „Calvinist” sage ich mal: Es gibt wichtigeres als Klamotten …
Übrigens: Dieses ganze Anpassungsding führt am Ende dazu, dass so viele Senioren nur noch eine Farbrichtung zu kennen scheinen: hellbeige bis sandfarben. Kollegin Zwerenz geht darauf auch kurz ein und verweist natürlich wieder auf die Männer im Ausland, bei denen das nicht so ist.
Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen und auf den grandiosen Kabarettisten Jochen Malmsheimer zu verweisen. Sein Lamento über die Seniorenfarbe beige geht wie folgt (und besser ist es, sich das ganze auf einem Youtube-Video-Ausschnitt anzusehen (ab etwa Minute 3:45)), den ganzen Text gibt es hier:
(…) Das wirklich Schlimme am älter werden ist ja gar nicht das älter werden, sondern, dass man offenbar gezwungen wird, beige zu sein. Beige! Der Friedhof der Farbe! Erbrochenes und Scheiße sehen so aus. Wer zwingt ältere Menschen, auszusehen, wie Erbrochenes und Scheiße? Reicht es nicht, dick, faltig, undicht und dement zu werden, muß man dabei zu allem Überfluß auch noch beknackt aussehen?
Ich frage Sie jetzt und hier: Warum müssen Senioren so aussehen, wie Senioren eben aussehen, nämlich beige. Beige! Beige! Die sandfarbene Omma, wie der matschfarbene Oppa ist aus dem Straßenbild deutscher Großstädte nicht mehr wegzudenken. Und es werden ja auch immer mehr. Also Ommas und Oppas, nicht Großstädte.
Was im Luftbild den Eindruck vermittelt, der Kölner Dom sei von einer Wanderdüne umspült, entpuppt sich bei näherem Hinsehen, als eine Gruppe Dormagener Senioren, die hellbeige bejackt, mephistobeschuht, poppelingewandet und rollatorgestützt, mit grauem Kopfpudel unter durchsichtiger Frischhaltefolie, der eigenen Zukunft durch einen Besuch im Hause des Herrn das Ungewisse zu nehmen hoffen.
Warum aber ist das so?Gibt es ein Grünverbot für Leute über 60? Wo sind sie geblieben, die Farben Rot oder Gelb? Ist Blau nur noch Besenreisern und Krampfadern vorbehalten? (…)
Christine Zerwes würde sagen: “Geh doch mal nach Italien oder Frankreich, da sehen die Senioren anders aus.”
Zusatz 3: Und als ob ich es geahnt hätte, gibt es dafür natürlich auch wieder eine Bewegung, slow wear (style is a state of mind), heißt die, hat natürlich eine eigene Webseite und findet Christine Zerwes Stück sehr gut. Dass es das gleich wieder als Bewegung gibt, macht mir Senioren in ihrem Beige fast schon wieder sympathisch, muss ich gestehen.